Der Mensch im digitalen Zeitalter steht vor einer paradoxen Aufgabe: Er soll sich vervielfältigen, um sich selbst zu behaupten. Was früher durch körperliche Anwesenheit, durch Stimme, Geste, Blick geleistet wurde – der Ausdruck des Ichs – wird heute ersetzt durch digitale Stellvertreter: durch Avatare, durch Profile, durch Datenpunkte.
Wir existieren, weil wir sichtbar sind. Aber Sichtbarkeit ist nicht mehr physisch. Sie ist algorithmisch.
Symptome eines neuen Menschenbildes
Diese Verdopplung – der reale Körper hier, das digitale Ich dort – ist nicht nur Ausdruck technischer Notwendigkeit. Sie ist Symptom eines neuen Menschenbildes: Der Mensch wird reduziert auf seine verwertbare Oberfläche, auf seine Funktionen innerhalb digitaler Systeme. Was als praktische Identitätsstrategie beginnt – digitale Staatsbürgerschaft, biometrische Pässe, Online-Verifikation – wird zur kulturellen Chiffre einer tieferliegenden Verschiebung: Der Mensch wird nicht digital erweitert, sondern fragmentiert.
In dieser neuen Lebenswelt verwandelt sich Kommunikation – einst ein Feld menschlichen Ausdrucks und der Begegnung – in ein Netzwerk aus Signalen und Symbolen. Emojis sind nicht einfach Spielereien. Sie sind der Versuch, ein verlorenes Vokabular der Körperlichkeit zu ersetzen – mit grafischen Platzhaltern, die Gefühle und Erfahrungen simulieren, ohne sie zu fühlen oder zu erleben. Sie sind das Ornament der digitalen Kommunikation.
Die technische Uniformierung des Menschen
Und wie jedes virtuelle Ornament ist die digitale Simulation des Menschen ist technisch eng begrenzt. Unsere virtuellen Stellvertreter verlangen Geschwindigkeit, Eindeutigkeit, Lesbarkeit. Ihnen fehlt die Fähigkeit, an unserer statt Ambivalenz, Nuance, Stille auszudrücken. Ironie muss gekennzeichnet werden. Traurigkeit wird durch ein Symbol kodiert. Komplexe Gefühle werden in eine visuelle Grammatik gezwungen, die an der Oberfläche funktioniert, aber in der Tiefe leer bleibt.
Selbst unsere Avatare – digitale Masken, die behaupten, uns zu repräsentieren – sind Ausdruck dieser Reduktion. Ihre Standardisierung ist kein technisches Versäumnis, sondern ein Spiegel kultureller Uniformierung. Die Wahl aus zwanzig Frisuren und fünf Gesichtern ist keine Freiheit, sondern eine Simulation von Individualität. Eine Ästhetik der Vereinfachung, die Diversität behauptet, aber Uniformität produziert.
Technisch deformierte Kommunikation – Ausdruck ist mehr als Darstellung
Das Ergebnis ist ein Kommunikationsraum voller Rauschen und Missverständnisse. Eine kurze Antwort wirkt kalt. Eine verspätete Nachricht wie Ablehnung. Ironie wird nicht erkannt. Nähe wird performt, aber nicht empfunden. In dieser digitalen Kultur wird Authentizität brüchig, filterbar, manipulierbar.
Ein Triumph der digitalen Kommunikation liegt nicht darin, dass sie den Austausch erleichtert. Sondern darin, dass sie den Menschen in ein Interface verwandelt hat. Was dabei verloren geht, ist nicht bloß Tiefe – es ist das Unverfügbare, das Uneindeutige, das Unvermittelte.
Und das ist vielleicht das eigentliche Drama: Nicht, dass wir uns nicht ausdrücken können. Sondern dass wir vergessen, dass Ausdruck mehr ist als Darstellung.
Marken werden wie Menschen zu Avataren
In einer Kultur, die zunehmend durch digitale Zeichen vermittelt ist, wird Public Relations zur Grammatik der Sichtbarkeit. Sie arrangiert Bilder, kontrolliert Narrative, designt Emotionen. Doch was als Kommunikation bezeichnet wird, ist häufig eine Choreografie von Reaktionen. Aufmerksamkeit ersetzt Verstehen. Nähe wird suggeriert, nicht erlebt. Das Publikum ist keine Gemeinschaft mehr, sondern eine Zielgruppe: fragmentiert, quantifizierbar, berechenbar.
Die digitale Welt verlangt von der PR, was sie auch vom Individuum verlangt: eine permanente, performative Selbstabbildung. Präsenz ersetzt Inhalt. Konsistenz ersetzt Entwicklung. Marken, wie Menschen, werden zu Avataren – glatt, formatiert, gefällig. Das Ich, das Unternehmen, die Idee – alles wird in Bilder und Formate überführt, die Plattformen bedienen, aber kaum Tiefe erzeugen.
Paradigmenwechsel in der heutigen PR
Hier liegt die Krise der heutigen PR: Sie glaubt, kommunizieren zu können, ohne wirklich zu sprechen. Sie glaubt, berühren zu können, ohne sich selbst verletzbar zu machen. Sie verwechselt Wirkung mit Wahrheit.
Doch eine Kommunikation, die nur funktioniert, wenn sie kontrolliert ist, ist keine Kommunikation – sie ist ein Ritual. Ein ästhetisiertes Spiel mit Zeichen, in dem das Risiko fehlt. Und ohne Risiko keine Beziehung. Ohne Beziehung keine Relevanz.
Die Frage ist nicht, wie man sichtbar bleibt. Die Frage ist, was die Sichtbarkeit zeigt – und was sie verdeckt. Was sagt ein Avatar wirklich aus? Was kommuniziert eine perfekte Text-Bild-Schablone, wenn sie jede Ambivalenz, jede Dissonanz, jede Ungenauigkeit getilgt hat? Was sagt ein Corporate Emoji über ein Unternehmen voller lebendiger Menschen?
Public Relations hat sich zu lange als kuratorische Instanz verstanden – eine, die sortiert, auswählt, gestaltet. Sie müsste sich vielmehr als interventionistische Instanz begreifen. Nicht: „Wie wirken wir?“ Sondern: „Was setzen wir in Bewegung? Was hinterfragen wir? Was erlauben wir, sichtbar zu werden?“
Wenn die PR relevant bleiben will – nicht nur strategisch, sondern kulturell –, muss sie die Oberfläche nicht verwalten, sondern befragen. Nicht bloß gestalten, sondern entlarven. Nicht glätten, sondern stellenweise auch kratzen.
Es genügt nicht, präsent zu sein. Man muss spürbar sein. Man muss überraschend sein. Und manchmal auch unbequem.
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